In diesem Beitrag wird die Rede von Steffen Grundmann (Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Stadtrat Bautzen), die er am Holocaust-Gedenktages / Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus 27. Januar 2018 hielt, ungekürzt veröffentlicht. Ein weiterer Artikel zur gesamten Veranstaltung wird am Abend folgen.

Der 27. Januar soll anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau nach nunmehr 73 Jahren an die Opfer eines beispiellosen totalitären Regimes erinnern. Er soll erinnern an Millionen Opfer, die auf bestialische, unmenschliche Art & Weise ermordet wurden. Neben den unzähligen jüdischen Menschen waren dies auch Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, Frauen und Männer im Widerstand! Millionen Tote, Millionen Vertriebene…

Ein unfassbares Unrecht. Anlässlich der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages am 25. Januar 2008 sagte der damalige Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert unter anderem: „Der 30. Januar 1933 war weder ein ‚Betriebsunfall der deutschen Geschichte‘ noch war er unausweichlich […]. Dass der Weg in die Diktatur keine Zwangsläufigkeit war, ist eine beständige Mahnung an alle demokratischen Kräfte: Jeder Bestrebung, unsere heute gefestigte Demokratie und ihre Ansprüche zu ignorieren, zu verhöhnen, zu unterlaufen oder offen angreifen zu wollen, werden wir gemeinsam und entschieden entgegentreten.“

Und in seiner Proklamation im Jahre 1996 führte der damalige Bundespräsident Roman Herzog aus:

„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“

Doch dieses engagierte Eintreten für Demokratie und die Erinnerung an dieses schreckliche Unrecht scheint zu verblassen, die damit verbundene Mahnung „NIE WIEDER!“ verstummt für immer mehr Menschen. „Hört doch auf mit diesem Schuldkult!“ oder „Was können wir denn für unsere Vorfahren?“ sind Äußerungen, die schon seit längerem immer mehr Zuspruch finden. Sozialdarwinistische Sichtweisen werden wieder hoffähig, es wird Holocaust-Relativierung und Holocaust-Leugnung betrieben, der Begriff der Rasse wird zwar bewusst vermieden, aber er kommt stattdessen nun im modernen Gewand des Ethnopluralismus daher.

Und nicht nur in unseren deutschen Parlamenten sitzen nun auch wieder Politiker insbesondere einer Partei, die dieses Erstarken von chauvinistischen und fremdenfeindlichen Einstellungen bewusst und gezielt für ihre Agenda nutzt. Eine Partei, die Woche für Woche mit antisemitischen, rechtsnationalen, neonazistischen Äußerungen auffällt, die für Eklats sorgt – und die trotzdem – oder womöglich gerade deswegen? – nach aktuellen Zahlen deutschlandweit immer noch von 12 – 14% gewählt werden würde – und in Sachsen von einem Viertel der Menschen. Es hat dazu geführt, dass der politische Diskurs über alle Parteigrenzen hinweg auf ein Thema fokussiert wurde. Und es werden in aller Öffentlichkeit wieder Dinge gesagt, die zu Protest & demokratischen Widerstand führen müssten – aber immer öfter bleiben sie unwidersprochen. Woher kommt es, dass trotz grundsätzlicher gesellschaftlicher, persönlicher & materieller Sicherheit, trotz wirtschaftlichem Boom und trotz 73-jährigem Frieden in Mitteleuropa Rechtspopulisten & Neonationalisten europaweit immer mehr Erfolge für sich verzeichnen können? Ist es tatsächlich einfach nur zu lange her? Ist dieser Wunsch nach einem einzelnen starken Führer – trotz besseren Wissens – so tief in uns verankert? Oder machen wir uns etwa unnötig Sorgen? Sind wir übertrieben ängstlich? Kann so etwas, was 1933 „begann“ und nach unsäglich viel Leid 1945 endete, unmöglich wieder geschehen?

Hr. Primo Levi – ein Überlebender von Auschwitz – sagte dazu: „Es ist geschehen, deshalb kann es wieder geschehen: das ist der Kern dessen, was wir zu sagen haben. Es kann geschehen und es kann überall geschehen.“ Und er sagte auch: „Ungeheuer existieren, aber ihre Zahl ist zu gering, als dass sie wirklich gefährlich wären. Gefährlicher sind die gewöhnlichen Menschen, die Funktionäre, die, ohne Fragen zu stellen, bereitwillig alles glauben und tun, was ihnen gesagt wird…“

Keinmol mer, Plus jamais, never again, nie wieder!

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