Gastbeitrag von Michelle Bray (Redebeitrag von dem Picknick „Kein Platz für Rassismus am 12. August 2018 in Bautzen) 

Alltagsrassismus. 

Das Wort wird in Bautzen häufig genutzt um Situationen zu beschreiben wie: Frau mit Kopftuch wird auf der Straße ins Gesicht gespuckt. Das ist abartig. Menschen mit Fuchterfahrung, POC und MigrantInnen werden auf der Straße, mit Schreckschusspistolen bedroht, Drohungen an Wände gesprüht. Das ist ekelhaft. Und Rassismus. Und Alltag. Hier. Jetzt.  

Aber das ist nur der relativ sichtbare Teil eines großen, strukturellen Problems, das unsere Gesellschaft als Ganzes betrifft. Täglich sind Menschen in Deutschland auf allen Ebenen mit Rassismus konfrontiert. Sie werden – bewusst oder unbewusst – ausgegrenzt, diskriminiert und so in ihrem grundlegenden Menschenrecht verletzt: der Achtung ihrer Würde. 

Alltagsrassismus. 

Das  ist die Übernahme von Rassismus in alltägliche Situationen durch Denk- und Handlungsformen, die die dahinter liegenden Machtstrukturen stabilisieren und verfestigen. Es ist ein Prozeß, bei dem Rassismus in all seinen Ausformungen nicht mehr befragt wird und von den dominierenden Gruppen als „normal“ und allgemein gebräuchliches Verhaltensmuster betrachtet wird.

Neben der Eingangstür zu meinem alten Zimmer im Haus meiner Mutter hängt ein Bild. Für meine Mutter ein Bild, das ihre Tochter im Kindergarten gemalt hat – anscheinend habe ich ihr die Geschichte dazu erst dieses Frühjahr erzählt.  

Wir hatten im Kindergarten die Aufgabe bekommen, ein Bild zu malen. „Ich und mein ausländischer Freund“ war der Titel – oder für alle nicht deutschen Kinder – „Ich und mein deutscher Freund“.  Also malte ich ein Bild von einem türkischen Mädchen aus meiner Kindergartengruppe und mir. 

Meine Kindergärtnerin sah das Bild. Gab es mir zurück mit dem Hinweis, das man nicht erkennen könne, welches der beiden Kinder das deutsche ist. Auf dem Bild konnte man nicht sehen, dass das weiße Mädchen türkisch zu hause sprach und vielleicht keinen deutschen Pass hatte. 

Also sollte ich ein zweites Bild malen. Nach einigem Überlegen entschied ich mich ein Bild von mir und Selom zu malen. Selom war ein Junge, der wenige Tage vor mir im selben Krankenhaus geboren worden war. Seine Mutter war weiß und deutsch. Sein Vater in der Army, wie meiner. Also hatte auch vermutlich er einen deutschen Pass. Ich kann das nicht mit Sicherheit sagen, denn schon als ich das Bild von uns beiden malte hatten wir uns seit Jahren nicht gesehen. Meine Mutter und ich waren weggezogen bevor ich in den Kindergarten gekommen war. 

Ich malte also ein Bild von zwei deutschen Kindern, das als „Ich und mein ausländischer Freund“ im Kindergarten aufgehängt wurde. Selom hatte ich mit brauner Wasserfarbe gemalt. Mich selbst nur braun Umrandet und nicht ausgemalt. 

Ich habe das mit 5 Jahren nicht als Alltagsrassismus abgestempelt. Ich kann mich aber noch heute daran erinnern. Der Moment war wichtig. Auch wenn ich ihn lange gar nicht einordnen konnte. 

Meine ehemalige Kindergärtnerin ist wahrscheinlich keine Rassistin. Der Moment hat nicht die Grundfesten meines Lebens erschüttert und meine Selbstbild so vehement ins Wanken gebracht, dass ich Jahre später durch Beschäftigung mit der afrikanischen Diaspora, der schwarzen Bewegung, der Geschichte der Gastarbeiter und vielem mehr den Versuche mache eine eigene Identität in Bruchstücken dieser Geschichten zu finden. 

Aber es ist einer von vielen kleinen Moment, die tagtäglich in den Köpfen und Herzen von vielen in Deutschland lebenden Menschen gepflanzt werden. 

Azadê Peşmen vergleicht es in einem Artikel mit tausend kleinen Mückenstichen. Du kannst einmal gestochen werden und es juckt. Aber wirst du immer und immer wieder an der selben Stelle gestochen, dann ist das irgendwann kein Jucken mehr. 

Und die Erfahrungen mit diesem Rassismus im Alltag, mit diesen tausend kleinen Mückenstichen sind vielfältig und viele davon werden zur Zeit in den sozialen Medien unter dem #metwo geteilt. Spieler der Fußballnationalmannschaft, über Ärzte, Schriftsteller, Bäcker, Deutsche, Menschen ohne deutschen Pass machen sie alle. 

Also lasst euch bitte mit mir auf ein Experiment ein, denn dieser Alltagsrassismus geht nicht – wie wir das gerne wollen – nur von bösen Nazis aus, nicht nur von Rechten, RassistInnen, der Politik und Behörden. Nich von anderen. Sondern passiert in allen Situationen unseres zwischenmenschlichen Lebens. 

Das Spiel geht wie folgt. Ich stelle Fragen. Ihr wisst die Antworten.  

  1. Wie oft fragt dich jemand wo du herkommst?
  2. Wie oft fragst du selbst? Und vor allen Dingen: WEN? 
  3. Fragst du eigentlich auch weiße Menschen nach dem Geburtsort ihrer Großeltern, oder ist das POC vorbehalten? 
  4. Wie häufig wurde schon dein Deutsch gelobt? 
  5. Wie reagieren Menschen, wenn du auf der Straße mit ihnen zusammenstößt? Wirst auch du dann häufig aufgefordert wahlweise zurück nach hause oder in den Dschungel zu gehen? 
  6. Sind Trennstäbe auf dem Kassenband ein Anlass zu rassistischen Beschimpfungen? Sind wir uns alle eigentlich bewusst welche Grundfeste der deutschen Kultur dieser Stab eigentlich ist? 
  7. Hälst du dich für weniger rassistisch, weil du Freunde mit Migrationshintergrund hast? Oder beruflich oder privat „engen“ Kontakt zu POC pflegst? 
  8. Würdest du deine Kinder in einen Kindergarten mit mehrheitlich Kindern mit Migrationshintergrund stecken –  auch wenn in der Nähe ein Kindergarten mit mehrheitlich deutschen Kindern ist? 
  9. Spielt bei der Partnerwahl die Hautfarbe eine Rolle? 
  10. Nenne fünf Bücher von Autorinnen, die nicht weiß sind. 
  11. Wieviele dieser Bücher hast du gelesen? 
  12. Hast du die Frage zur Partnerwahl wirklich ehrlich beantwortet? 
  13. Magst du es nicht als Kartoffel bezeichnet zu werden? Welche Bezeichnung nutzt du denn für Schwarze Menschen? Ist Schwarze Menschen ok? Farbige…? Weißt du’s? Woher? 
  14. Sagt man Schwarz überhaupt noch?  
  15. Mischt du dich in rassistische Diskussionen ein? Im Internet? Im echten Leben? 
  16. Wer darf überhaupt über Rassismus sprechen? 
  17. Wie häufig wirst du an Innereuropäischen Grenzen kontrolliert? Wie häufig einfach so? Im Auto? Auf der Straße? Im Zug? 
  18. Hast du schon mal die Rassismuserfahrungen einer Person als Gejammer abgetan? 
  19. Wurde dir für dein Aussehen schon mal Gewalt angetan?
  20. Erzählst du rassistische Witze? Und wer entscheidet eigentlich wo Spaß aufhört und Verletzung anfängt? 
  21. Fasst du fremden Menschen ungefragt in die Haare? Wie häufig fassen dir fremde Menschen ungefragt in die Haare? 
  22. Wurden deine Talente schon mal auf deine Herkunft bezogen? Oder deine Unfähigkeiten? 
  23. Wurde deine Talente schon mal auf deine Herkunft bezogen? 
  24. Welches Bild kommt dir in den Kopf wenn du an eine muslimische Frau denkst? Und welches bei einem Schwarzen Mann?  
  25. Hast du dir auch schonmal gewünscht, wenn ich könnte, würde ich mich nur noch mit Menschen umgeben die sind wie ich? 
  26. Fühlst du dich repräsentiert wenn du den Fernseher anschaltest oder ein Buch aufklappst? Fühltest du dich repräsentiert als im Geschichtsunterricht „Geschichte“ durchgenommen wurde? 
  27. Hast du die Farbe „Hautfarbe“ verwendet, wenn du als Kind ein Bild von dir gemalt hast? 
  28. Hast du das Privileg keine Hautfarben zu sehen? 
  29. Wie oft vergleichst du die „Hautfarbe“ anderer Leute mit Nachrungsmitteln? Karamel. Oder Schokolade? Und wie häufig macht das jemand anderes bei dir? 
  30. Wie häufig gibt dir diese Gesellschaft das Gefühl nicht Teil dieser Gesellschaft zu sein? 

Antirassismus heißt nicht nur laut zu schreien, dass man gegen Nazis ist, gegen RassistInnen sondern die eingefahrenen Prozesse des Alltagsrassismuss ständig hinterfragt und verändert. 

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